30 Jahre mit der Kamera (1) – Wie im Fotolabor alles begann.
Es war das Jahr 1987, und obwohl ich nach der Schule zum Zirkus wollte, landete ich erst mal im Keller. Es roch nach Ammoniak, Lösungsmitteln und Nikotin. An einem knarrenden Schreibtisch saß unter dem einzigen Oberlicht in diesem Keller ein knorziger Mann, der mein Ausbilder werden sollte. Und er wollte nicht.
„Ich habe schon einen Stift.“ Mein Blick wanderte in seine Hand auf den Kugelschreiber, den er zwischen seine Finger gleiten ließ. Ich verstand nur, dass er mich nicht haben wollte. Als er wieder zum Reden ansetzte, kam ich ihm zuvor: „Aber ich brauche eine Ausbildung. Und ich will nicht zu den Irren in die Grafik.“ Er starrte mich an. Seit drei Tagen machte ich ein Schnupperpraktikum in einem grafischen Spezialbetrieb in Oberbilk in Düsseldorf. Ich hatte den Fotosatz, den Siebdruck, die Grafik gesehen. Nun saß ich in diesem Keller. Die scharfen Dämpfe ätzten in meiner Nase. Mein Onkel hatte mir dieses Praktikum vermittelt, auf das ich mich nur unwillig einließ.
Ich wollte doch zum Zirkus
Ich wollte längst weg sein, beim Zirkus. Das war immer mein einziges Ziel gewesen. Ich konnte lesen, schreiben, rechnen und englisch. Ich hatte die Mittlere Reife erreicht. Mehr wollte ich nicht. Mehr brauchte ich nicht. Das war mehr, als die meisten Zirkuskinder je erreichen würden. Ich wollte mit ihnen reisen, mit ihnen und den Tieren und den Artisten, den Clowns, von Stadt zu Stadt. Plätze ausmachen, Plakate kleben, Chapiteau aufbauen, Tiere pflegen und für die Vorstellung vorbereiten, Manege frei, Applaus. Dann wieder Chapiteau abbauen, Tiere verladen, weiter in die nächste Stadt. Ich liebte dieses Leben, in das ich schon als kleines Mädchen hatte hineinschnuppern können. Es roch nach Abenteuer, nach Sägemehl, nach exotischen Tieren und Schweiß. Es klang nach Lachen und Fluchen, nach Singen und Beschwören, nach Menschen, die zusammen gehören und sich aufeinander verlassen können. Es erschien mir erstrebenswerter, als jeder normale Job.
Aber jetzt saß ich in diesem Keller und bettelte um diese Ausbildung. Denn sie dauerte nur zwei Jahre, dann würde ich 18 sein, und dann würde mir kein Erwachsener mehr etwas vorschreiben können. Der Ginuth, so würde ich ihn später nennen, so, wie alle anderen Kolleginnen, der Ginuth schüttelte den Kopf. „Nein. Ich kann jetzt nicht noch einen Frischling gebrauchen. Das ist mein letztes Wort.“
Leben im Fotolabor
Am 1. September 1987 begann meine Ausbildung zur Fotofachlaborantin im Keller dieses grafischen Spezialbetriebs. Fortan fuhr ich im Dunkeln zur Arbeit, arbeitete im Dunkeln im Fotolabor und kam im Dunkeln nach Hause. Im Winter zumindest.
Fortan lernte ich, wie man mit einem Kontaktkopiergerät arbeitet, wie man Strichfilme mit riesigen Reprokameras belichtet, wie man sie später am Leuchttisch mit tönerner Farbe ausfleckt, ich lernte etwas über Druckraster und Rasterweiten und Moirés, ich lernte Handabzüge von 10x15cm großen Schwarzweiß-Negativen im Großfotolabor zu machen, und ich lernte ihnen mit selbstangesetztem Schwefeltoner einen Vintage-Flair zu verleihen.
Ich lernte, wie man von einem Schwarzweißnegativ 500 identische Prints in der Schale entwickelt, ich lernte Kleinbildfilme in Metall- und in Kunststoffspulen einzudrehen, um sie in kleinen Tanks entwickeln zu können. Ich lernte pushen, solarisieren, tonen, Newtonringe und Fussel zu vermeiden. Die Ilford-Antistatiktücher hatte ich immer bei mir. Ich lernte die Unterschiede zwischen PE– und Barytpapieren, und dass Fotopapier, das in der Trockenmaschine hängen bleibt, auch mal anfängt zu brennen. Ich lernte abwedeln und nachbelichten und mit Gradationen zu spielen, mit Vignetten und Magenta-Filtern Wolkenhimmel zu dramatisieren. Und ich lernte, dass, wenn irgendwo neben einer Entwicklungsmaschine die Chemie-Tanks überliefen, der Keller nach Ammoniak roch. Und manchmal erinnerte mich das an die Mistkarren im Zirkus.
Ich lernte den E-6-Prozess an einer riesigen Dia-Entwicklungsmaschine, ich lernte mit grellen Lichtbogenlampen und diesem speziellen Filmmaterial von 3M Color Keys* herzustellen, ich lernte, eine Sinar zu bedienen: Die große Fachkamera, die uns die 10x15cm großen Negative oder Dias lieferte, auf die sich dieses grafische Spezialbetrieb spezialisiert hatte. Zum Fotografieren kam ich wenig. Ich durfte dem Ginuth assistieren, und von dem, was er mir über die Standarten, Scheimpflug und Parallelverschiebung erzählt hat, behielt ich nur so lange etwas, bis ich die Prüfung hinter mich gebracht hatte.
Die ersten Fotos waren Zirkusfotos
Ich sah einfach keinen Sinn darin, mit dieser riesigen Kamera langweilige Bügelhilfe-Flaschen zu fotografieren, die dann später für den Druck in Werbeprospekten vom Blauverlaufhintergrund befreit wurden. Ja, es wurde gemacht, um die stürzenden Linien auszugleichen und um bei Blende 22 und Dauerlicht und unendlichen Belichtungszeiten die größtmögliche Schärfentiefe zu erreichen. Aber hey, es waren fucking Bügelhilfeflaschen. Nur einmal, da war es ein Plunderteilchen für die Titelseite der Bäckerblume. Aber das ist schon eine andere Geschichte.
In der Ausbildung lernte ich also wenig über Fotografie an sich. Doch mein Freund Frank hatte mir eine gebrauchte Canon A1 geschenkt, und natürlich war ich damit in jeder freien Minute bei einem Zirkus. So ließ sich die Zeit bis zur Reise gut überbrücken.